"Macht Euch die Erde untertan" oder "Respekt vor allem Leben". Religion beeinflusst, wie wir mit unseren Mitgeschöpfen umgehen. Manche wurden ausgerottet, andere besonders geschützt. Weltweit gehen die Bestände von Wildtieren zurück. Das Ausmaß des Artensterbens ist aber regional verschieden und scheint auch vom Kulturkreis abhängig zu sein. Können Religionen helfen, die Schöpfung zu bewahren? Im Westen Indiens am Rande der Wüste Thar lässt sich ein grandioses Naturschauspiel beobachten. Massen von Jungfernkranichen kommen in ein kleines Dorf, um dort zu fressen. Erst sind es nur ein paar Dutzend, dann Hunderte und schließlich Tausende. Sie kommen, weil die Dorfbewohner sie füttern. Die Menschen verehren die Vögel und versprechen sich davon ein gutes Karma: Sie glauben daran, dass Menschen wiedergeboren werden und durch gute Taten gegenüber anderen Geschöpfen ihr nächstes Leben positiv beeinflussen können. Den Kranichen wiederum erleichtert die Fütterung das Überleben in der kargen Landschaft. Der Grund für dieses ungewöhnliche Miteinander liegt in der Haltung der Menschen. Sie glauben daran, dass alle ihre Mitgeschöpfe eine Seele haben. "Eines der wichtigsten Prinzipien im Hinduismus ist Ahimsa, was so viel bedeutet wie Gewaltlosigkeit", erläutert der Religionswissenschaftler Dr. Martin Mittwede. Daraus resultiert Respekt vor allem Lebendigen und eine große Toleranz gegenüber Wildtieren. Bis heute sind erst sehr wenige Tierarten in Indien ausgestorben. Anders im christlich dominerten Mitteleuropa. Hier wurden seit dem Mittelalter fast alle Großtiere ausgerottet. "Das biblische Motiv 'Macht Euch die Erde untertan' wurde völlig falsch ausgelegt", sagt Dr. Rainer Hagencord vom Institut für Theologische Zoologie. Tiere wurden als Gefahren beziehungsweise Konkurrenten beseitigt oder nur als Ware gesehen.